Mitte März hab ich Herwig Steiner zum ersten Mal in Wien getroffen.
Na ja – nicht ganz zum ersten Mal – er hat in der Kunsthalle.tmpSteyr ausgestellt und da werden wir uns schon gesehen haben.
Mitte März hab ich in Wien, Stephansplatz 6, was gesehen, das uns zum wohl irrwitzigsten Grafik-Abenteuer der letzten Jahre veranlasst hat: Ein Anwalt, Wien I – Andreas Manak/Manak&Partner, baut um. Und statt sich einfach ein gutes, teures Bild zu kaufen und sich dafür umfassend als Kunstbildbesitzer bewundern zu lassen, beauftragt er Herwig Steiner, Kunst unentfernbar direkt in die Architektur zu integrieren. Und der prackt ihm auf 65 Quadratmetern Glasfläche ein Werk hin, das weit mehr als Kunst ist. Es ist ein Statement, das Kunst und Auftraggeber in einem Ausmaß aneinander bindet, das etwa im öffentlichen Raum nur mit sehr, sehr rückgratstarken Entscheidern und großer Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Daseins möglich wäre. Also, wie wir als Steyrer (vom „Mensch im Fluss“ in der Steyr vor dem Museum Arbeitswelt und von den Steinen von Gabi Berger in der Pfarrgasse) wissen: in Steyr zum Beispiel gar nicht…
Zurück zu Manak&Steiner: Die Kanzlei betreten alle (alle: kein Mitarbeiter-Eingang, kein österreichartiger Schleichweg) durch einen Warteraum, der von der Kanzlei durch eine Glaswand getrennt ist. Auf dieser den Raum vollkommen dominierenden Wand befinden sich Auszüge aus den Rassegesetzen des Dritten Reichs – insbesondere die Ausübung des Anwaltberufs betreffend. Jeder, der diese Kanzlei betritt, betritt sie durch die Perversion dessen, was sich Recht nennt. Titel „Gesetz und Verbrechen“. Die einzelnen Büros sind vom Gang durch die zweite Arbeit „Not one more execution!“ getrennt. Wieder eine Glaswand, raumbeherrschend, bildnerisch dicht, die Texte: Dokumentationen über nachrecherchierte Verfahren von in den USA exekutierten Menschen. Zu Unrecht exekutierten Menschen. Acht Fälle voller Verfahrensmängel, Überforderung der Angeklagten, Rassismus, unterschlagener Beweismittel, erpresster Geständnisse. Die Namen der Toten stehen überdimensional drauf – wie Türschilder. Jeder, der diese Büros betritt, durchschreitet die Grenzen seines Metiers: Recht wird Unrecht. Statt seinen Namen samt Titel usw. auf seiner Tür zu lesen, muss er sich jedes Mal die Frage nach der Qualität seiner Arbeit stellen. Dazu gehört schon ein Haufen Demut.
Für die Qualität der Arbeiten bewundere ich Herwig Steiner, nebenbei auch für seine „Sturheit“, die zum Beispiel notwendig ist, um die Arbeit allein schon datentechnisch zu bewältigen… Ich glaub, ein bissel mehr noch bewundere ich Andreas Manak als Auftraggeber und für die Demut, die man sicherlich braucht, um sich so einen (65 Quadratmeter großen) Spiegel vorzuhalten.
Und auch, weil das nicht das Ende war – und da kommen wir ins Spiel: Es gibt seit heute, 5. Dezember 2006, eine Dokumentation über die Arbeiten. Erschienen im PassagenVerlag, 224 Seiten stark, unglaublich umfangreich an Inhalt (alle Arbeiten in lesbarer Größe abgebildet, alle Materialien, Beiträge von Andreas Manak, Manfred Novak, Sabine Folie, Erika Weinzierl, Oliver Elser u.a., ein umfangreicher Abschnitt über die Werkgruppe „Pre-Prints“ von Herwig Steiner, Raumansichten von Walter Ebenhofer…; herausgegeben von Andreas Manak, redigiert von Lucas Gehrmann) und gut gestaltet. Ich tu mich mit solchen Selbstbeurteilungen gar nicht leicht, aber in dem Fall: sehr gut gestaltet. Sehr reduziert, sehr funktional, sehr konsequent.
Sehr anstrengend für alle Beteiligten, sehr intensiv.
Und sehr schön gedruckt von Odysseus.
Heute ist offizielle Präsentation der Arbeiten und des Buchs – siehe Einladung in den obenstehenden Bildern.
Wir sind in Wien.
Danach sind die Arbeiten auch zu besichtigen – siehe Einladung in den obenstehenden Bildern.
Jetzt gibts auch einen Beitrag auf ORF-ON mit kurzem Audio-Beitrag von Herwig Steiner.